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genesis-v11-01Eine faszinierende Durchmischung diverser Inszenierungsstrategien bekommt man im Dokumentationsfilm "The Ballad of Genesis and Lady Jaye" von Marie Losier zu sehen.





Wenn sich Genesis Breyer P-Orridge alias Neil Andrew Megson wortwörtlich auf den Fuß getreten fühlt, hat das durchaus das Potenzial eine enge Freundschaft zu werden, wie Marie Losier nach der unbeabsichtigten zufälligen Begegnung bei einer Vernissage mit dem Künstler unverhofft feststellte. Dass der einmalige Fußtritt zu einem 7-jährigen filmischen "auf Schritt-und-Tritt-folgen" werden würde, hatte die experimentelle Filmemacherin Losier aber nicht ahnen können. Auf den Wunsch des/der Künstler(s)in und der Lebensgefährtin Lady Jaye hin deren pandrogynes Gesamtkunstwerk als Liebes- und Künstlerpaar für die Nachwelt festzuhalten, begibt sich die Filmemacherin mit P-Orridges kultiger Industrial-Band Psychic TV und einer 16 mm Kamera mit auf Tour.

Reality is just stuff. How you perceive it, depends on what has been given to you

Poetisch und instinktiv bewegt sich Losier in der einfühlsamen Stilisierung der anmutig extravertierten Kunstfigur Genesis fernab von eintöniger Vermittlung. Neben den Tour-Aufnahmen, bezieht Losier auch sehr persönliches footage aus dem Archiv des Künstlers wie auch artifizielle Aufnahmen mit ein, in denen sie Genesis in drolligen Kostümen zum Goldfisch mutieren oder in Stop-Motion-Animation fliegen lässt. Chronologisch und doch mäanderartig und assoziativ vorgehend, zeichnet Losier Schritt für Schritt neue Facetten hinzu - aus einer wohlgesinnten Perspektive versteht sich - und begibt sich dabei mit der kindlich idealistisch dargestellten Kunstfigur auf die Spielwiese. In diesem Mix aus do-it-yourself-Ästhetik, Stop-Motion-Animationen und distanzierter Kamera, erzeugt Losier über die Leinwand hinaus ein Gefühl für die Dichte und Energie des kreativen Schaffens des eigensinnigen Künstlers, für den die Selbsttransformation und Aneignung von Welt Kunst wie Leben ausmachen.

This is Genesis Breyer P-Orridge and she has no idea what she is

Entgegen jeglicher normativen und eindeutigen Identitätszuschreibung sieht sich P-Orridge in der Tradition der Verschränkung von Leben und Kunst und begreift sich als Transgender keinem Geschlecht eindeutig zugehörig. Veränderung als Wesenskern und Inbegriff von Kunst und Leben: Trotz des plötzlichen Todes von Lady Jaye entschließt sich Genesis den Film fertig zu stellen. Losiers freche Herangehensweise und die bunte Durchmischung diverser Inszenierungsstrategien im Dokumentarfilm lassen einen intimen, dennoch nicht voyeuristischen Blick auf den Künstler zu. Ihre Art der dokumentarischen Portraitierung, so prophezeit Genesis, sei beispielgebend für die Zukunft und ein Lichtblick im Vergleich zu anderen faden Portraits. Und in Sachen innovatives künstlerisches Potenzial und Radikalität dürfte Genesis Breyer P-Orridge einen guten Riecher haben. Unter anderem erhielt die Doku den Teddy-Award bei der Berlinale, eine Auszeichnung für Filme, die einen Beitrag zur Verhandlung queerer Inhalte im gesellschaftspolitischen Kontext leisten und ist ab November 2011 im Filmverleih erhältlich. (Text: Kathrin Blasbichler; Fotos: © Viennale)

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Film-Tipp:
The Ballad of Genesis and Lady Jaye von Marie Losier
Bewertung: @@@@@
Kritik im Rahmen des Erst-Screening bei der Viennale 2011
Kinostart: 24.11.2011